NewIn: Can Dincer
Wearables: Sensoren für den Alltag
Seit Dezember trägt Can Dincer, Professor für Sensors and Wearables for Healthcare, selbst eine Smartwatch. Wie viele kommerziell erhältliche Wearables misst sie physikalische Größen, zum Beispiel den Sauerstoffgehalt im Blut, die Herzfrequenz, die Schlafdauer oder die Länge der Joggingstrecke. Bei seiner Forschung konzentriert sich Dincer dagegen in erster Linie auf biologische und chemische Signale, sowohl für die patientennahe Sofortdiagnostik, wie beispielsweise bei Covid-Tests, als auch für den Einsatz in Wearables.
Er möchte Biomarker, die man sonst im Blut misst, auch in anderen Körperflüssigkeiten bestimmen, um Sensoren so wenig invasiv wie möglich zu gestalten. „Die Messung von Blutwerten sind der Standard im Gesundheitssystem. Wir versuchen nun, auch Schweiß, Atem, Urin oder Speichel für die Diagnostik zu nutzen. Schwierig ist, dass die relevanten Substanzen darin meistens viel stärker verdünnt sind als im Blut. Um trotzdem zuverlässig messen zu können, brauchen wir deutlich empfindlichere Sensoren“, sagt Dincer.
Sein Ziel sei es, Prototypen und Produkte zu entwickeln und davon ausgehend auch Start-ups zu gründen. „Das war ein wichtiger Grund für mich, an die TUM zu kommen, weil die Gründungsmentalität hier verankert ist“, sagt Dincer. „Nach einer gewissen Zeit intensiver Forschung sollten Ideen und deren Umsetzung unbedingt einen Nutzen für die Öffentlichkeit bringen“.
Patientennahe Sofortdiagnostik
Seine Projekte orientieren sich häufig an Fragestellungen aus der Klinik. So arbeitet er beispielsweise an einem Verfahren, um MikroRNAs (miRNAs) in Proben zu messen – also kleine RNA-Stückchen, die die Umsetzung unserer Erbinformation zu Proteinen mitsteuern. Während man von einzelnen miRNAs nicht auf bestimmte Krankheiten schließen kann, gibt es sogenannte miRNA-Panels - also Muster aus mehreren hoch- und herunterregulierten miRNAs, die für bestimmte Krankheiten wie Gehirntumore oder Alzheimer charakteristisch sind.
Dincer arbeitet daran, dafür besonders sensitive und selektive Biosensoren zu entwickeln. Denn eine der Schwierigkeiten aktueller Tests ist, dass die miRNAs vor der Messung erst vervielfältigt werden müssen, zum Beispiel durch eine Polymerase Kettenreaktion (Polymerase Chain Reaction, PCR), wie sie auch zum Vervielfältigen von Virus-RNA für die Covid-Diagnostik verwendet wurde. Dadurch steigt die Gefahr für falsch positive Ergebnisse, die Tests dauern länger und brauchen teure Messinstrumente.
„Um Proben stattdessen direkt zu messen, ohne Vervielfältigung, brauchen wir noch sensitivere Sensoren“, sagt Dincer. „Durch den Einsatz der Genschere CRISPR konnten wir die Nachweisgrenze unseres Systems bereits um den Faktor eine Million verbessern.“ Ist die gesuchte miRNA in der Probe vorhanden, wird ein bestimmtes Protein im CRISPR-Komplex aktiviert und schneidet die sogenannte Reporter-RNA. Das führt dazu, dass die im Sensor gemessene Stromdichte sinkt. Je mehr gesuchte miRNAs vorhanden sind, desto geringer ist das Messsignal.
Während zuvor zwei Milliarden Kopien pro Mikroliter notwendig waren, reichen jetzt bei den von Dincer entwickelten Sensoren schon zweitausend Kopien pro Mikroliter, um die gesuchte miRNA zu detektieren. „Nun forschen wir daran, wie wir die Sensoren noch sensitiver machen können, um sie als Alternative zu PCR-basierten Verfahren verwenden zu können. Dafür nutzen wir Mikrofluidik, also Techniken, um die Probe beispielsweise zu filtern und anzureichern, und elektrochemische Signalverstärkung“, sagt er.
Atemmasken und weitere Wearables
Meist geht die Entwicklung von einem konkreten Anwendungswunsch aus, manchmal läuft es jedoch genau anders herum. „Wir haben einen elektrochemischen Papiersensor entwickelt, der Wasserstoffperoxid misst, einen Inflammationsmarker für Lungenkrankheiten. Papier ist hygroskopisch, es zieht Feuchtigkeit sozusagen automatisch an. Wir haben uns gefragt, was passiert, wenn man direkt auf diesen Papiersensor atmet. Könnte man so direkt beim Ausatmen relevante Moleküle aus Aerosolen messen? Und es hat funktioniert.“
So ist 2018 der Prototyp einer Atemgasmaske als Sensor entstanden. Ob Anästhetikum oder Glucose, mit dem gleichen Prinzip lassen sich in der Theorie auch weitere Biomarker messen – wie genau die Umsetzung funktioniert, ist ein Teil der aktuellen Forschung von Dincer. Und auch weitere Wearables sind in Planung.
Auf jeden Erfolg kommen zehn Misserfolge
Wichtig in der Forschung sind für Dincer auch gute Kollaborationen und Durchhaltevermögen. „Wenn man in die Forschung geht, sollte man wissen, hinter jedem Erfolg gibt es zehn Misserfolge“, sagt Dincer. „Wichtig ist es, nie aufzugeben“. Seine Begeisterung für die Suche nach immer neuen Lösungen und seinen Elan gibt er auch an Studierende weiter, die er zum Beispiel bei einem aktuellen Sensorik-Wettbewerb unterstützt.
Can Dincer ist Professor für Sensors and Wearables for Healthcare an der TUM. Er studierte Mikrosytemtechnik an der Albert-Ludwigs-Ծä Freiburg. Schon während seiner Promotionsarbeit in Freiburg beschäftigte er sich mit vielfältigen Themen - von implantierbaren Sensoren über elektrochemische Rastermikroskopie zu mikrofluidischen Diagnostik-Systemen - und bekam gleich drei Projekte bewilligt, mit denen er als Postdoc seine eigene Gruppe aufbaute. Er leitete die Gruppe „Disposable Microsystems“ in Freiburg und forschte zwei Jahre als Gastwissenschaftler am Imperial College London. An die TUM wurde er im Oktober 2024 berufen.
- Die Professur für Sensors and Wearables for Healthcare gehört zur .
- Prof. Can Dincer forscht am . Das MIBE ist ein Integrative Research Institute der TUM. Am MIBE entwickeln und verbessern Forschende aus der Medizin, den Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften gemeinsam Verfahren zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten. Die Aktivitäten reichen dabei von der Untersuchung grundlegender wissenschaftlicher Prinzipien bis zu deren Anwendung in medizinischen Geräten, Medikamenten oder Computerprogrammen.
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Kontakte zum Artikel:
Prof. Dr. Can Dincer
Technische Ծä München
can.dincer@tum.de